Auswanderung
Vielleicht werden Sie sich fragen, was Entstehung und Bedeutung des Namens Leingang mit dem Auswandern zu tun hat. Auf den Ersten Blick nicht viel, aber die Verbreitung des Namens legt den Schluss nahe, dass sich Leingangs in der Vergangenheit aus ihrem Stammgebiet auf den Weg in die Welt gemacht haben. Diese Seite soll – ohne auf Anspruch auf Vollständigkeit oder tiefere Details – einen kurzen Überblick besonders über die Auswanderungswelle nach Russland geben.

Bild oben: Katharina II, Russische Herrscherin, 1729 bis 1796, warb um Deutsche Bauern und Handwerker, (Quelle: Wikipedia)
Bild unten: Aufruf der Zarin Katharia II, mit dem sie Bauern und Handwerker für die Besiedelung der Krim aufrief.
Quelle : www.russlanddeutsche geschichte.de

Der Grund für die Auswanderung war wohl weniger Abenteuerlust, sondern vielmehr wirtschaftliche Notlagen und Perspektivlosigkeit hier in der Heimat. Außerdem hat besonders die Russische Herrscherin Katharina II gezielt nach Bauern und Handwerkern zur Besiedlung der Krim und der Ukraine geworben und dafür eine Reihe von Vergünstigungen gewährt.
Diese wurden dann aber nach und nach wieder rückgängig gemacht, sodaß sehr viele Familien aus Rußland wieder abwanderten, teils in ihre alte Heimat, die meisten aber direkt nach Amerika. So kamen sehr viele Leingang – Familien in die USA, deren Wurzeln hier in der Südpfalz liegen.
Das russische Auswanderungsfieber grassierte in der Südpfalz im Jahr 1809 wie eine Epidemie. Für einen heutigen Südpfälzer ist kaum nachvollziehbar, dass jemand Haus, Dorf und Heimat für immer verlässt und auf eine bessere Zukunft vertraut, ohne zu wissen, was ihn am fremden Ort erwartet. Auswanderung – und dann auch noch nach Russland!
Im Frühjahr jenes Jahres meldeten die Lokalbeamten eine ungewöhnlich große Zahl von An- und Verkäufen von Mobilien und Immobilien. Bald danach häuften sich die Meldungen über heimliche Auswanderungen. Dem Bürgermeister von Offenbach, der ausreisewilligen Bürgern die Reisepässe abnehmen wollte, wurde gedroht. ihm das Haus anzuzünden. Dominik Geiger scheint sich nicht heimlich oder mit einer vorgeblichen Wallfahrt aus Kuhardt verdrückt zu haben. Denn in einer Auswanderungsliste für den Kanton Germersheim ist er aufgeführt:
„Geiger, Dominique, 23 Jahre, Tagelöhner.mit seiner Frau“. Er ist der jüngste Verheiratete unter den insgesamt 34 Personen aus Kuhardt.Aus der ganzen Vorderpfalz kommen Auswanderer, die nach Russland wollen: Bellheim (13 Personen),Germersheim (3), Hördt (42), Knittelsheim (47), Lingenfeld (37), Neupotz (4), Niederlustadt (15),0berlustadt (19), Ottersheim (102), Schwegenheim (1), Sondernheim (17), Weingarten (7). Zeiskam (21).
ln den ersten Maitagen des Jahres 1809 muss in den Rheindörfern Neupotz, Leimersheim und Kuhardt Aufruhr geherrscht haben. Dutzende von Bauernwagen wurden gepackt für den Treck nach Russland. 105 Leimersheimer bestiegen am 9. Mai die mit Planen überzogenen Leiterwagen.
Sechs Säuglinge wurden zu ihren Müttern hoch gereicht. Frischvermählte waren darunter: Der 21jährige Johannes Schardt hatte tags zuvor die erst 13jährige Anna Elisabeth Hammer geheiratet. Somit konnten sie Landbesitzer von 60 Deßjatinen Land (45,4 Hektar) in der russischen Steppe werden.
Tags darauf, am 10. Mai, meldete der Leimersheimer Bürgermeister Hans-Michael Kuhn, dass ein Dutzend Familien heimlich das Dorf in Richtung Osten verlassen habe, obwohl vor Tagen öffentlich mit der Ortsschelle bekannt gegeben worden war, dass es verboten ist, ohne Erlaubnis des Präfekten auszuwandern.“ Gewöhnlich wurde mit einem Wagen eine Familie von vier bis fünf Personen befördert.
Aber es gab auch Familien, die mit acht oder neun Kindern auf einem Wagen saßen.
Die Tatsache, dass damit die Familien mit samt ihrem Reisegepäck, dem Proviant und der notwendigen Ausrüstung auf einer Strecke von rund 3000 Kilometer zu transportieren waren, macht klar, dass es große und schwere Wagen waren, wie sie einst von den Dorfhandwerkern gebaut wurden. Manchmal organisierten sich 15 bis 20 Familien zu einem gemeinsamen Wagenzug.
Sie reisten auf dem Landweg über Böhmen, Mähren, Schlesien bis zur russischen Grenzstadt Radziwillów. Wegen schlechter Straßen dauerte damals die Überlandreise fast drei Monate.
Die Kolonisten kamen im Sommer 1809 in drei Gruppen von der Grenzstadt Radziwillów nach Odessa. Die erste Gruppe, die für das Beresaner Tal bestimmt war, fuhr rechts weiter nach Süden, die anderen fuhren links zu einem Nebenfluss des Bug, wo sie dann die Kolonien Rastatt und München gründeten. 86 Kilometer nordöstlich von Odessa und etwa 46 Kilometer nordwestlich der Stadt Nikolajew, mitten in der südrussischen Steppe, machte der Treck plötzlich Halt.
Nun kam es zu einer Szene, wie sie in Western vorkommt, in denen es um die Besiedlung der amerikanischen Steppe geht.
Auch dem frisch vermählten 22jährigen Dominik Geiger und seiner Ehefrau Elisabeth wird das Geschehen im Gedächtnis geblieben sein: An der Stelle der noch zu gründenden Kolonie Speyer, dort, wo die spätere Hauptstraße angelegt werden sollte, südlich der Kirche, wo dann die Häuser von Kasper Wanner und Mathias Dietrich stehen würden, sagte der Oberschulze Franz Brittner zu den Auswanderern:
„Das ist eure neue Heimat. Ladet eure Sachen und Gepäck ab!“
Die Kolonisten fragten: „Wie kann diese öde Wildnis unsere neue Heimat werden?“
Die Schwarzerde war eine Herausforderung, der Boden war viel härter als erwartet.
Wie leicht war dagegen das Pflügen in dem sandigen Boden ihrer alten Heimat am Ufer des Rheins gewesen!
Jede Familie bekam Hofplätze zugeteilt. Es wurden Erdlöcher ausgehoben und mit Schilfrohr und Grasnarben bedeckt. Diese Erdhäuser dienten im ersten Winter als Wohnungen. Darin war es kalt und feucht. Man musste mit getrocknetem Kuhmist heizen, denn auf 30 Meilen im Umkreis wuchs kein Holz.Von den Leiden und Mühsalen der Auswanderer nach Südrussland wusste man in der Pfalz noch nach mehreren Jahrzehnten zu erzählen.

„Der eine kommt ins Pfefferland, der andere in die Krim “
Mit dieser Drohung wurden in der Gegend von Landau streitende Kinder zur Ruhe gebracht.
Die Kolonie Speyer wurde in den Jahren 1809/1810 gegründet. Speyer bekam seinen Namen auf Vorschlag des Kolonisten Johannes Schanz, der aus Lingenfeld stammte.
Es galt auch hier das Sprichwort:
Der ersten Generation der Tod, der zweiten Generation die Not, der dritten Generation das Brot!
Die Landwirtschaft entwickelte sich auf breiter Basis, und der Wohlstand der Speyerer Bauern nahm zu. Handwerk, Handel und Gewerbe florierten ebenfalls.
Waren es in Leimersheim aufgrund der Realteilung nur zwei bis drei Hektar Land, das ein Bauer im Durchschnitt sein Eigen nennen konnte, so war er in Südrussland in jeder Hinsicht ein Großbauer. Es gab sehr reiche Bauern in Speyer, die 150 bis 500 Hektar gekauftes Land bewirtschafteten. Die pfälzisch-elsässisch-badischen Kolonistendörfer in Südrussland sind keine „potemkinsche Dörfer“, die schriftlichen und mündlichen Quellen liefern glaubwürdige Berichte darüber, dass sie bis 1914 zu den reichsten und am besten organisierten Siedlungen nicht nur in der Ukraine, sondern in ganz Russland zählten. Die Namen der anderen ehemaligen deutschen Siedlungen im so genannten Kutschurganer und im Beresaner Gebiet erinnern ebenfalls an die alte Heimat. Sie trugen Namen wie Heidelberg, Worms, Mannheim, Rastatt, Karlsruhe, Baden, Durlach, Sulz, Selz, Straßburg, Elsass, Neuburg, Rohrbach, Kandel, Landau und eben Speyer.
Mit den Ansiedlern kamen auch unsere Sprache, Sitten und Gebräuche in jene Gegenden. Den Bewohnern von Rohrbach in der Südpfalz wie denen von Rohrbach im Beresaner Gebiet sagt man nach, sie würden stets ein Messer im Sack mit sich tragen, was ihnen jeweils den Necknamen „Stecher“ eingebracht hat. Und dieses Image von Rohrbach muss demnach schon vor 1800, also vor der Koloniegründung (1808/1810), allgemein bekannt gewesen und dann mit in die russische Steppe genommen und auf das neue Rohrbach übertragen worden sein.
In Pater Konrad Kellers „Revisionsliste der Kolonie Speyer 1839-1840“, die 30 Jahre nach der Koloniegründung angefertigt wurde, taucht unser Auswanderer aus Kuhardt als Familienvater wieder auf:
„Dominik Geiger 52 Jahre alt und hat mit Elisabeth, geb. Schaf, 48 Jahre alt, aus Leimersheim. einen 13jährigen Sohn mit Namen Anton.“Rund 150 Jahre und mindestens vier Generationen später zerstreuten sich vor allem nach dem Zerfall der Sowjetunion die Nachkommen der Urkolonisten in alle Welt. ln Amerika leben heute viele mit schwarzmeerdeutscher Herkunft in den Bundesstaaten Nord- und Süddakota.
ln die Bundesrepublik gelangten vor allem in den 1980er Jahren tausende sogenannter „Russlanddeutscher“ in das Stammland ihrer Vorväter,
hunderte davon auch wieder in die Pfalz, etwa nach Kandel, nach Germersheim oder gar in die Domstadt Speyer.
Helmut Seebach ist Journalist, Autor und Verleger (Bachstelz-Verlag), 1954 geboren, stammt aus Queichhambach und wohnt in Mainz.
DAS BUCH:
– Helmut Seebach. Zur Geschichte der Südpfalz. Band 3. Nachtragsband, 42 Euro.
– Zu bestellen beim Bachstelz-Verlag, Waldstr. 6, D- 55124 Mainz, oder im Buchhandel.
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